Brief des ehemaligen Dirigenten und Ehrenkreischorleiters Alfred Ruppe vom 04.10.2002

entnommen der Chronik 1972-2001 Chorgemeinschaft "Hutten'scher Grund"

 

Sehr geehrter Herr Flach,

herzlichen Dank für die Einladung zu den Jubiläumsfeierlichkeiten der Stammvereine

am 25.-27.10.2002. In der Zeit des Chorleiters Otto Schwägerl aus Bad Orb, der seid 1954 die "Concordia" Romsthal leitete, kam es in den folgenden Jahren öfter zu gemeinsamen Auftritten mit dem "Sängergruß" Kerbersdorf. Schwägerl drängte und überredete mich, unterstützt vom Vorsitzenden, Herrn Alois Matheis, doch die "Concordia" zwecks Bildung einer Chorgemeinschaft mitzuübernehmen, was dann auch im Jahre 1959 Realität wurde.

Es war keine schlechte Entwicklung, denn in der Folgezeit entwickelte sich die neu geschaffene Chorgemeinschaft zu einem Klangkörper, der sich hören lassen konnte.

Die hinter uns liegenden 40 Jahre waren eine Zeit des Wachstums und des Aufbaus. Es war aber auch eine Zeit, in welcher das Musikleben tiefgreifenden Umwandlungen unterworfen war. Massenmedien, Popmusik, Evolution und Revolution der zeitgenössischen Musik, Entdeckung der internationalen Folklore, das sind nur einige Stichpunkte, mit denen man sich auseinander-zusetzen hatte. Es gereicht der Chorgemeinschaft zur Ehre, einmal in Wien konzertiert undim Dom zu Mailand die Messe gestaltet zu haben. Auch das erfolgreiche Erringen von Pokalen bei Gesangswettstreiten soll nicht unerwähnt bleiben, da es bei den Sängern immer große Freude und Euphorie auslöste.

Große Sorge, so scheint mir, ist die starke Verformung der Altersstruktur bei den Männern; das Durchschnittsalder steigt ständig. Neue Sänger für den Chorgesang zu gewinnen, ist nicht so schwer, wie sie danach auf Dauer im Chor zu halten. Je mehr ein Chor in der Öffentlichkeit präsent ist, um so bekannter wird er und um so eher wird er neue Mitglieder gewinnen können.

Lassen Sie mich hier auf die Bedeutung des Chorsingens eingehen: Chorsingen ist weitgehend eine Leistung mit sozialer Prägung, weil Chorsingen nicht von einem einzelnen geboten werden kann. Die Gemeinschaft der Musizierenden ist ein Wesenselement eines Chores. In der Zuordnung der Singenden zueinander, die bis zur Stunde äußerst positiv beuruteilt werden kann, liegt bereits ein hoher Wert der Chorgemeinschaft. Singen ist eine der elementarsten Lebensäußerungen des Menschen, obwohl ein Knopfdruck genügt, um uns Musik in höchster Perfektion ins Wohnzimmer zu holen. Das einfache Lied, selbst gesungen, kann für uns mehr bedeuten, als die perfekteste Darbietung, die wir passiv aufnehmen. Natürlich muß jeder Chorsänger richtig und auch schon singen können, was einem musikalischen Laien durch Stimmbildung beigebracht werden kann.

Ist die Bereitschaft zu singen geweckt, so erhebt sich zugleich die Frage nach der geieigneten Chorliteratur, die von den Faktoren Angebote der Verlage, Wünsche des Publikums, Forderungen der Fachkritik und entscheidend von der Leistungsfähigkeit der Sängerinnen und Sänger beeinflußt ist. Der Text muß wertvoll sein und unserer Zeit entsprechen. Die richtige Balance zwischen traditioneller und zeitgenössischer Chorliteratur zu finden, ist die eigentliche Herausforderung an alle, denen die Chorführung am Herzen liegt. Die Jugend von heute will kein Liedgut und vor allem keine Texte mehr, die ihrer Anschauung nicht entsprechen.

Welche Möglichkeiten bzw. Schierigkeiten im Chorgesang sieht man in der Zukunft?

Die Entwicklung der Musik schreitet immer vorwärts, nie wird sie rückläufig. Mit Sicherheit ist zu erwarten, daß die Musik nach einer extremen Ausprägung mechanisch-rhythmischer Tendenzen sich wieder der menschlichen Stimme erinnert. Für diesen Zeitpunkt muß die Chormusik gerüstet und intakt sein. Alle, die im Chor nur menschliche Ansprache und gesellige Gemütlichkeit finden wollen, mögen dann wenigstens nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, damit der Kultur einen Dienst zu erweisen.

Gute Chöre, und ich rechne die Chorgemeinschaft vorbehaltlos dazu, haben bei weitemdie bessere Literatur und Programmgestaltung. Die Chorgemeinschaft "Hutten'scher Grund" erwarb sich aufgrund ihrer ausgereiften Interpretation und ihrer hohen Gesangskultur echte Anerkennung. Es wäre zu wünschen, daß die hohe Wertschätzung des Wirkens der Chorgemeinschaft "Hutten'scher Grund" auch in Zukunft Platz greifen würde und sich immer wieder singbegabte Menschen ihr anschließen.

Mit freundlichen Sängergrüßen

Ihr

Alfred Ruppel